Die südpfälzischen Verwaltungschefs unterstützen das Vorhaben des Kinderschutzbundes Rheinland-Pfalz, ein Childhood-House zu etablieren. Das teilen die Landkreise Südliche Weinstraße und Germersheim sowie die Stadt Landau in der Pfalz gemeinsam mit.
„Das Konzept Childhood-House hat sich in vielen Ländern Europas ebenso wie in zehn Bundesländern in Deutschland sehr gut bewährt. Mit der vom Kinderschutzbund in Landau geplanten Einrichtung würde Rheinland-Pfalz endlich aufschließen, und das erste Childhood-House des Landes könnte entstehen“, so die Landräte Dietmar Seefeldt (SÜW), Martin Brandl (GER) und Landaus Oberbürgermeister Dominik Geißler.
Childhood-House ist Englisch und heißt so viel wie „ein Haus für Kinder“ oder „ein Kindheitshaus“. Mit dem Begriff wird ein bestimmtes Konzept für Einrichtungen bezeichnet, die eine kinderfreundliche, multidisziplinäre und ambulante Anlaufstelle für Kinder und Jugendluche sind, die sexualisierte oder körperliche Gewalt erfahren haben.
Thema Missbrauch betrifft auch die Südpfalz
„Der Bedarf an einer solchen Einrichtung ist leider auch bei uns in der Südpfalz da“, halten Seefeldt, Brandl und Geißler weiter fest. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnete für Deutschland im Jahr 15.500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, 42.075 Fälle von sogenannter Kinderpornografie und 6746 Fälle von Jugendpornografie.
Da die Dunkelziffer sehr groß sei und der Großteil der Missbrauchsfälle auch nicht angezeigt werde, seien Gesamtzahlen allerdings nur schwer zu beziffern, das gelte auch für die Südpfalz, so die Verwaltungschefs. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bis zu eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland bereits sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren.
Das sind rund ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Für das Gebiet der Südpfalz ist demnach von hunderten Kindern und Jugendlichen auszugehen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Von Gewalt betroffene Kinder leben außerdem mit einem erhöhten Risiko, erneut Betroffene oder Opfer von Gewalt zu werden oder selbst gewalttätig zu werden.
Meilenstein der Hilfe könnte entstehen
„Das Vorhaben der rheinland-pfälzischen Landesregierung, spezialisierte Zentren für Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen einzurichten, greift zu kurz“, so die Landräte und der Oberbürgermeister.
„Diese Zentren adressieren nur diejenigen Kinder und Jugendlichen, die eine Anzeige erstatten und sich einem Gerichtsverfahren stellen können und wollen.“ Dies sei aber nur ein geringfügiger Anteil.
In den allermeisten Fällen gehe es aus verschiedenen, am Kindeswohl ausgerichteten Gründen bei der Hilfe durch Jugendämter und weitere Stellen nach einem Missbrauch nicht vorrangig oder nicht sofort um juristische Schritte gegen den oder die Täter.
„Wir brauchen vielmehr einen Ort in Rheinland-Pfalz, am besten in der Südpfalz, an dem von sexualisierter oder körperlicher Gewalt betroffene Kinder auch unabhängig von einem Strafverfahren Hilfe bekommen – so wie in dem geplanten Childhood-House.“
Sie verweisen darauf, dass in den Childhood-Häusern auch vertrauliche Spurensicherung durch Ärztinnen und Ärzte vorgenommen werden, deren Ergebnisse dokumentiert und bei etwaigen späteren Gerichtsverfahren rechtssicher verwendet werden könnten.
Auch wenn der Finanzierungsanteil der Einrichtung, der sich auf sich beteiligende Kommunen entfallen würde, noch nicht genau feststeht und noch einige weitere organisatorische, rechtliche und finanzielle Aspekte zu klären sein würden, plädieren die Landräte und der Oberbürgermeister dafür, keine weitere Zeit zu verlieren. „Jetzt ist die Chance da, wirklich etwas Grundlegendes für von Gewalt und Missbrauch betroffene Kinder und Jugendliche zu erreichen und ihre Versorgungslage strukturell zu verbessern: mit einem Childhood-House.“
Das Konzept im Detail
Ein Childhood-Haus ist ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche, die körperliche und sexualisierte Gewalt erlebt haben, in einem kinderfreundlichen und geschütztem Umfeld alle wichtigen Hilfen bekommen – und zwar an einem Ort. Aktuell müssen Betroffene für Aussagen und Untersuchungen separat zum Kinderschutzdienst, zum Familiengericht, zur Polizei und zu rechtsmedizinischen und gegebenenfalls auch psychologischen Untersuchungen in ein Krankenhaus oder eine Praxis.
Vereinfacht gesagt bündelt ein Childhood-House all diese verschiedenen Stellen „in benachbarten Zimmern auf einem freundlichen Flur“, sodass den Kindern und Jugendlichen zähes Warten, diverse An- und Abreisen zu verschiedenen Stellen und mehrere Tage des Wiederbeschäftigens mit dem erfahrenen Leid erspart bleiben könnten.
Hinter den Childhood-Häusern steht die „World Childhood Foundation“, die 1999 von Königin Silvia von Schweden gegründet wurde. Diese Stiftung hat das Ziel, das Recht der Kinder auf eine sichere und liebevolle Kindheit zu schützen und die Lebensbedingungen derjenigen Kinder zu verbessern, die sexuellem Missbrauch und Gewalt ausgesetzt sind.
Über Fördermittel der Stiftung werden die Childhood-Häuser ausgestattet und auch personell angeschoben – die langfristige Finanzierung einer Sozialarbeit-Stelle wäre dann voraussichtlich Aufgabe der sich beteiligenden Jugendhilfeträger.
Dies ist eine gemeinsame Pressemitteilung der Landkreise Südliche Weinstraße und Germersheim sowie der Stadt Landau in der Pfalz.